Schule und der Ernst des Lebens
Gastbeitrag von Pappa von P.
Was wohl die
meisten Eltern gemeinsam haben, ist der Wunsch, ihre Kinder möglichst gut auf
das Leben vorzubereiten. Als Erwachsene sollen sie den Herausforderungen
gewachsen sein, die sich ihnen dann stellen. Zu wissen, welche
Herausforderungen das in 10, 15 oder 20 Jahren sein werden, ist dabei
sicherlich die eine Schwierigkeit. Die will ich hier jetzt aber bewusst
ausblenden und stattdessen der Frage nachgehen, was aktuell eigentlich die
Herausforderungen der Welt sind und wie Kinder sich darauf am besten
vorbereiten können.
Erhellendes Erlebnis Nr. 1: Erwartungen an die Schule
Unser Sohn geht
ja in eine Montessori-Kleinkindgemeinschaft und dort war ich neulich auf dem
Vortrag des Leiters der Montessori-Schule, mit der eine intensive
Zusammenarbeit besteht. Seiner Erfahrung nach gibt es Eltern, die Montessori
für die ersten Lebensjahre ihrer Kinder gut finden (Motto „unbeschwerte
Kindheit“) und dann aber spätestens nach der vierten Schulstufe ihr Kind auf
eine Regelschule geben. Einerseits, weil manche es nicht aushalten, ihr Kind
nicht auf einem Gymnasium zu haben, zum anderen aber wohl auch mit dem
Gedanken, dass sie dort besser auf den „Ernst des Lebens“ vorbereitet würden.
Ist halt nicht alles so schön frei, selbstbestimmt und frei von Druck im
„echten“ Leben, wie in Montessori-Einrichtungen. The Full Montessori spricht von einer Blase und fragt, ob diese zum Platzen gebracht werden müsste.
Erhellendes Erlebnis Nr. 2: Erwartungen im
Arbeitsleben
Knapp eine Woche
nach dem Schulvortrag sitze ich in einem Auftragsklärungsgespräch mit einem
Bereichsleiter, der für die drei Abteilungen seines Bereichs eine Teamklausur
durchführen möchte. Was ich unter anderem höre ist, dass die Zusammenarbeit
besser werden soll, dass sich die Leute nicht von selber einbringen und der
Umgang mit Fehlern zu wünschen übrig lässt. Es bestünde eine große Angst,
Fehler zu machen und wenn welche passieren, darüber zu reden. Dabei wäre es in
seinem Bereich sehr wichtig, Fehler schnell zu beheben und für die Zukunft
daraus zu lernen. Für Unverständnis sorgte, dass – nach Aussage der
Führungskraft – noch nie jemandem bei einem Fehler der Kopf abgerissen worden
sei und er sich die Angst daher nicht erklären könnte.
Den konkreten Fall will ich nicht bewerten, schließlich habe ich nur eine Seite gehört und „man steckt halt nicht drin“. Aber zumindest liefert es einen guten Einblick in aktuelle Erwartungen im modernen Arbeitsleben. Es wird ja immer wieder betont, wie komplex, dynamisch und unvorhersehbar alles geworden ist. Mit „Dienst nach Vorschrift“ kommt man da häufig nicht weit, sondern eher mit der Fähigkeit, im Zusammenspiel mit anderen brauchbare Lösungen für neue und komplexe Probleme zu finden.
Was lernen wir denn eigentlich in Schulen?
Wissen vs. Kompetenzen
Zuerst denken
wir wahrscheinlich an bestimmte Inhalten und Faktenwissen, das wir in der
Schule lernen und grundlegende Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen.
Ich glaube, hier lässt sich noch relativ schnell und einfach feststellen, dass
Kinder in Montessori-Schulen nicht schlechter sind, als jene in Regelschulen
(bzw. wie laut Schulleiter die zuständige Schulinspektorin feststellte eher
etwas weiter). Aber dann gibt es ja noch die heute so vielbeschworenen
„Schlüsselkompetenzen“ und Zweifel kommen wohl eher aus der Richtung, dass
Montessori für eine „Kuschelpädagogik“ gehalten wird (1) und die Kinder nicht
die nötige „Härte“ und andere Kompetenzen mitbekommen würden, um in der
Leistungsgesellschaft bestehen zu können. (2) Auf das Thema „Leistung“ will ich
jetzt gar nicht eingehen, das ist wohl noch einmal ein eigenes Thema.
Interessanter finde ich jetzt den Vorbereitungsgedanken auf das spätere
Arbeitsleben. Was machen wir bei der Arbeit und was lernen wir dafür in der
Schule?
Prüfungen und Noten
Wo ich häufig
emotionale Reaktionen erlebe, ist beim Thema Noten. Für viele, die selbst in
einem solchen System groß geworden sind, ist es schwer vorstellbar, wie eine
Schule ohne Noten funktionieren kann. Abgesehen vom Zweifel an der
Funktionsfähigkeit des Benotungssystems an sich (3), was ich in der
Argumentation nie verstehe ist, wie Noten auf den „Ernst des späteren Lebens“
vorbereiten sollen. Nach der Schule habe ich Noten nur noch ein einziges Mal
erlebt: in der Uni - weswegen Schulnoten wohl vor allem für den
Universitätserfolg ein guter Prädiktor sind (4), aber nicht für den Berufserfolg
(5). Bei der Arbeit werde ich zwar auch bewertet, aber qualitativ. Außerdem
werde ich direkt für meine Arbeit und meine Ergebnisse bewertet und nicht für
Aufgaben, die nur zum Zweck der Benotung gestellt werden. Kurz gesagt: In der
Schule lernen wir Prüfungen zu bestehen und gute Noten zu bekommen; im
Arbeitsleben müssen wir aber reale Probleme lösen und dazu häufig erst die richtigen
Fragen selber stellen (zumindest wenn es sich nicht um Fließbandjobs handelt,
die auch durch Roboter ersetzt werden könnten).
Arbeitsteilung und Zusammenarbeit
Vor allem basieren moderne Wirtschaften auf dem Gedanken der Arbeitsteilung. Es machen nicht alle dasselbe. Man kann sich auf etwas spezialisieren – im Idealfall sogar auf etwas, das einem besonders gut liegt und/oder Spaß macht. Die Ergebnisse meiner Spezialisierung kann ich dann mit anderen tauschen, die etwas anderes besser gemacht haben, als ich es hätte machen können. Oder ich arbeite mit anderen Spezialisten zusammen, um etwas Komplexes zu erzeugen, das niemand von uns alleine hinbekommen hätte. In der Schule müssen alle das Gleiche machen und Zusammenarbeit mit anderen im Rahmen von Prüfungen wird als Schummeln bestraft. Je mehr ich drüber nachdenke und lese, desto mehr stelle ich mir die Frage, ob die Regelschule überhaupt auf den Ernst des Lebens vorbereitet? (6) Macht das Leiden unter Stress und Wettbewerbsdruck schon in der Schule wirklich härter und fitter für das Berufsleben? Als jemand, der sich beruflich mit den Kompetenzen von Menschen im Berufsleben befasst, finde ich das Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, die Selbständigkeit und Problemlösungskompetenz von Montessori-Kindern sehr beeindruckend. (7)
Vor allem basieren moderne Wirtschaften auf dem Gedanken der Arbeitsteilung. Es machen nicht alle dasselbe. Man kann sich auf etwas spezialisieren – im Idealfall sogar auf etwas, das einem besonders gut liegt und/oder Spaß macht. Die Ergebnisse meiner Spezialisierung kann ich dann mit anderen tauschen, die etwas anderes besser gemacht haben, als ich es hätte machen können. Oder ich arbeite mit anderen Spezialisten zusammen, um etwas Komplexes zu erzeugen, das niemand von uns alleine hinbekommen hätte. In der Schule müssen alle das Gleiche machen und Zusammenarbeit mit anderen im Rahmen von Prüfungen wird als Schummeln bestraft. Je mehr ich drüber nachdenke und lese, desto mehr stelle ich mir die Frage, ob die Regelschule überhaupt auf den Ernst des Lebens vorbereitet? (6) Macht das Leiden unter Stress und Wettbewerbsdruck schon in der Schule wirklich härter und fitter für das Berufsleben? Als jemand, der sich beruflich mit den Kompetenzen von Menschen im Berufsleben befasst, finde ich das Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, die Selbständigkeit und Problemlösungskompetenz von Montessori-Kindern sehr beeindruckend. (7)
Literatur
(1)
Raapke, Hans Dietrich (2011),
Montessori heute – eine moderne Pädagogik für Familie, Kindergarten und Schule,
4. Auflage, Rohwolt Taschenbuchverlag, Reinbek bei Hamburg, S. 22-23.
(2)
Wahrscheinlich schon ein
Klassiker zu Anforderungen der Zukunft und dem aktuellen Schulsystem, die berühmte
TED-Rede von Ken Robinson: http://www.ted.com/talks/ken_robinson_how_to_escape_education_s_death_valley
(3)
Die Noten-Lüge, Zeit Campus Nr.
02/2013, http://www.zeit.de/campus/2013/02/notenvergabe-hochschulen-ungerechtigkeit
Noten sind ungerecht und subjektiv, Süddeutsche Zeitung Online, 17.2.2014, http://www.sueddeutsche.de/bildung/zensuren-in-schulzeugnissen-noten-sind-ungerecht-und-subjektiv-1.1286734
Studie: Aussagekraft von Noten „fragwürdig“, Die Presse vom 2.1.2014, http://diepresse.com/home/bildung/schule/1512441/Studie_Aussagekraft-von-Noten-fragwurdig
Noten sind ungerecht und subjektiv, Süddeutsche Zeitung Online, 17.2.2014, http://www.sueddeutsche.de/bildung/zensuren-in-schulzeugnissen-noten-sind-ungerecht-und-subjektiv-1.1286734
Studie: Aussagekraft von Noten „fragwürdig“, Die Presse vom 2.1.2014, http://diepresse.com/home/bildung/schule/1512441/Studie_Aussagekraft-von-Noten-fragwurdig
(4)
Uni-Zugang: Schulnoten sagen
Studienerfolg besser voraus als Tests, derstandard.at, 11.4.2013, http://derstandard.at/1363707659725/Uni-Zugang-Schulnoten-sagen-Studienerfolg-besser-voraus-als-Tests
(5)
„Warum unsere Personalauswahl
nichts taugt – und was Noten (nicht) aussagen! (Teil 2), 28.10.2013, http://www.hzaborowski.de/2013/10/28/teil-2-von-warum-unsere-personalauswahl-nichts-taugt-und-was-noten-nicht-aussagen/
(6)
In diesem Sinne auch der
Blogbeitrag zur „Montessori-Bubble“, der Dr. Steve Hughes mit der Gegenfrage zitiert "Which is the real bubble?": https://thefullmontessori.wordpress.com/2015/03/13/bursting-the-montessori-bubble/
(7)
Über einige erfolgreiche
Montessori-Alumni schreibt das Wall Street Journal: http://blogs.wsj.com/ideas-market/2011/04/05/the-montessori-mafia/